von | Dez 15, 2018

Digitale Zusammenarbeit – Barrieren und Lösungsansätze

Vor einigen Jahren empfahl mir mein damaliger Chef, Frank Wolf, ein Buch über Zusammenarbeit: „Collaboration: How Leaders Avoid the Traps, Build Common Ground, and Reap Big Results”. Dieses Buch von Morten Hansen, einem Professor an der University of California in Berkeley, hat mich sehr begeistert und prägt bis heute mein Verständnis von Zusammenarbeit. Neben der gewagten These, dass keine Zusammenarbeit besser ist als schlechte Zusammenarbeit, hat mich vor allem Hansens Modell der Kollaborationsbarrieren überzeugt. Völlig greifbar und verständlich wird hier erklärt, woran es liegen kann, wenn in Unternehmen keine Zusammenarbeit stattfindet. Natürlich bietet Hansen in seinem Buch auch Lösungsvorschläge hierfür an. Darauf möchte ich aber im Moment gar nicht weiter eingehen. Aber jedem, den das Thema Zusammenarbeit interessiert, sei dieses Buch wärmstens empfohlen.

2013 habe ich mit zwei Koautoren ein Whitepaper zu dem Thema geschrieben: “Smart Collaboration – Finding and implementing the right amount of collaboration in the enterprise.” Meine These damals war und ist bis heute, dass die Einführung einer Social Collaboration Lösung (eines Enterprise Social Networks, Social Intranets oder wie auch immer man den Digital Workplace bezeichnen mag) sowie die entsprechend geeigneten Veränderungsbegleitungsmaßnahmen bei der Überwindung der von Hansen aufgezeigten Kollaborationsbarrieren eine unterstützende Rolle spielen können. Vereinfacht gesagt: die (ordentliche) Einführung eines Collaboration Tools im Unternehmen kann dabei helfen, Kollaborationsbarrieren aufzulösen.

Nachdem ich eine Weile beobachtet und analysiert habe, was mir in meiner täglichen Arbeitspraxis und in Kundenprojekten begegnet, bin ich zu dem Schluss gekommen, dass man das Modell von Hansen für “digitale Zusammenarbeit” um den Bereich „digital“ erweitern muss.

Barrieren der digitalen Zusammenarbeit 

Das Modell von Hansen erklärt Zusammenarbeit und warum diese unter Umständen keinen Sinn macht oder nicht funktioniert. Bei der Betrachtung von “digitaler Zusammenarbeit”  muss dieses Modell um die Ebene der Technologie-Nutzung erweitert werden. Bei der digitalen Zusammenarbeit gibt es entsprechend zwei Ebenen:

  1. die Technologie-Ebene („Digitale…)
  2. und die Zusammenarbeits-Ebene (…Zusammenarbeit“)

Wenn nun in einem Unternehmen keine digitale Zusammenarbeit stattfindet (obwohl diese Sinn machen würde), liegt dies dementsprechend häufig an zwei Arten von im Unternehmen existierenden Barrieren:

  1. Barrieren der Zusammenarbeit (Kollaborationsbarrieren)
  2. und Barrieren in der Nutzung von Technologien (Technologienutzungsbarrieren)

Kollaborationsbarrieren

Laut dem Modell von Hansen gibt es vier Kollaborationsbarrieren:

  • Suche
  • Transfer
  • Not-Invented-Here
  • Hortung 

Dabei bezeichnet Suche die Schwierigkeiten, Personen oder Informationen zu finden oder zu identifizieren. Diese Barriere hat ihre Ursachen häufig in der Unternehmensgröße, der physischen Distanz, der Informationsüberlastung sowie in geschlossenen Netzwerken.

Transfer ist die Barriere, dass Wissen häufig nur schwer zu transferieren ist. Unter anderem bedingt dadurch, dass ein Teil des in einem Unternehmen vorhandenen Wissens implizit und damit per se schon schwer zu transferieren ist. Daneben kann der Mangel eines gemeinsamen Rahmens, also ein gemeinsames Verständnis und einer gemeinsamen Sprache, sowie schwache Bindungen die Ursache für die Transfer-Barriere sein.

Not-Invented-Here bezeichnet die mangelnde Bereitschaft, aufgrund des Entstehungsortes Hilfe von anderen anzunehmen oder von anderen zu lernen. Die Gründe und Ursachen dafür sind vielfältig, können aber unter anderem in einer vorherrschenden Inselkultur, Statusdenken, Tunnelblick oder Angst, Unwissen zu offenbaren begründet sein.

Hortung bezeichnet die mangelnde Bereitschaft, eigenes Wissen mit anderen zu teilen oder anderen zu helfen. Diese Barriere entsteht häufig durch Wettbewerb innerhalb des Unternehmens, durch zu starke individuelle Anreize, einer übermäßigen Arbeitslast oder der Angst vor Bedeutungsverlust.

Technologienutzungsbarrieren

Neben diesen vier Barrieren der Zusammenarbeit, stehen der digitalen Zusammenarbeit vier Technologienutzungsbarrieren im Weg:

  • Abwesenheit
  • Unkenntnis
  • Technologie-Misstrauen
  • Gewohnheit

Abwesenheit ist das simple Nicht-Vorhandensein von geeigneter IT. Wenn in einem Unternehmen kein Tool oder keine Plattform existiert, welche einen digitalen Zusammenarbeitsraum bereit stellt, dann können Mitarbeiter auch nicht digital zusammenarbeiten.

Unkenntnis bezieht sich darauf, dass Funktionen, Features und Tätigkeiten gänzlich unbekannt sind und erst neu gelernt werden müssen. Wenn Mitarbeiter z.B. nicht wissen, dass es möglich ist, durch die Erwähnung eines Kollegen mit einem @-Zeichen vor seinem Namen, diesen auf eine Änderung oder neuen Inhalt aufmerksam zu machen, werden sie natürlich weiterhin eine Email an den Kollegen schreiben, um ihm dieses direkt mitzuteilen.

Technologie-Misstrauen bezeichnet dabei mangelndes Vertrauen in die zuverlässige Funktionsweise von digitalen Technologien. Dies zeigt sich beispielsweise in der Existenz unzähliger Parallel-Versionen desselben Dokuments. Es wird der automatischen Versionierung (und damit einhergehenden Wiederherstellungsmöglichkeit älterer Versionen) von gemeinsam genutzten Dokumentablagen misstraut. Anstatt nur eine jeweils gültige und aktuelle Version eines Dokuments zu haben, entstehen unzählige Parallel-Versionen, die jeweils mit Mitarbeiterkürzel, Versionsnummern oder Datumsangaben im Dateinamen versehen sind. Entweder weil man sich nicht traut die Arbeit eines Kollegen zu überschreiben und diese somit gefühlt unwiderruflich zu löschen oder weil man Angst hat, dass das gleiche mögliche Schicksal die eigene Arbeit ereilen könnte, falls ein Kollege später am gleichen Dokument Änderungen vornimmt.

Gewohnheit bezeichnet die Barriere, gewohntes Verhalten zu praktizieren, weil man es schon immer so gemacht hat. Das einfachste Beispiel hierfür ist das Versenden eines Dokuments als Email-Anhang, obwohl das Dokument in der gemeinsam zugänglichen Online-Ablage ebenso vorhanden ist. Oder das Schreiben einer Gruppen-Email ans Team, in welcher man ein aktuelles Status-Update gibt, anstatt dieses einfach in den gemeinsamen Zusammenarbeitsraum zu posten.  

Überwindung der Barrieren

Die acht Barrieren berühren jeweils eine von zwei unterschiedlichen Dimensionen des menschlichen Verhaltens: 

  • Wollen
  • Können  

Um diese Barrieren zu bewältigen und somit den Weg für digitale Zusammenarbeit frei zu machen, gibt es verschiedene, mehr oder weniger geeignete Methoden und Maßnahmen. Der Einsatz dieser hängt auch davon ab, welche Dimension des menschlichen Verhaltens die Barrieren berühren:

  • Barrieren in der Dimension “Wollen” können nur durch Verhaltensanpassungen der beteiligten Menschen bewältigt werden. Dies braucht einerseits geeignete Maßnahmen und Methoden, um eine Veränderung der Einstellung der Menschen (also das Mindset) anzustoßen und andererseits vor allem viel Zeit und Geduld, da solche Prozesse sich über Monate oder Jahre hinziehen können.
  • Barrieren in der Dimension “Können” hingegen können häufiger durch geeignete IT-Tools und -Anwendungen, Trainings, Kommunikation sowie Strukturen und Vorgaben (also dem Toolset und dem Skillset) bewältigt werden. Dies geht schneller und lässt sich leichter umsetzen als die Veränderung der motivationalen Faktoren. Häufig liegen hier auch Quick Wins, die gerade am Anfang der Einführung einer Collaboration-Lösung eine entscheidende Rolle für die Nutzerakzeptanz spielen können. 

Barriere-Maßnahmen-Matrix

Jedes Unternehmen ist anders. Ist anders organisiert, hat eine andere Kultur und andere technologische Rahmenbedingungen. Daher ist es bei der erfolgreichen Umstellung auf digitale Zusammenarbeit in einem Unternehmen wichtig, das Unternehmen im Vorfeld gründlich zu analysieren und die jeweils existierenden Barrieren  und die Stärke ihrer Ausprägung zu identifizieren. Entsprechend dem vorkommenden Mix der Barrieren, sollten dann die meistversprechendsten Lösungsansätze ausgewählt werden. Hansen  nutzt dafür eine “Barrieren-zur-Lösung-Karte” und stellt die vier Kollaborationsbarrieren seinen drei Lösungsvorschlägen “Vereinigung”, “T-förmiges Management” und “Bildung von beweglichen Netzwerken” mit den jeweils zu erwartenden Effekten und ihrem Wirkungsgrad gegenüber. Damit gibt er Entscheidern ein kraftvolles Werkzeug an die Hand, um die richtige Lösung für ihre Barrieren zu finden.

Anwendung bei der Einführung von digitaler Zusammenarbeit

Ich finde diesen Ansatz genial und nutze in meinen Beratungsprojekten eine angepasste Form davon. Es gibt unzählige Maßnahmen und Methoden, die man anwenden kann, um digitale Zusammenarbeit in einem Unternehmen einzuführen und die Menschen dazu zu befähigen. Dabei eignen sich manche Maßnahmen besser als andere und aus dem Bauchladen der Methoden sollten dann idealerweise die Vorgehensweisen gepickt werden, die beim vorherrschenden Mix an Barrieren am vielversprechendsten sind.

Die Barriere-Maßnahmen-Matrix hilft also dabei, die für die erfolgreiche Einführung digitaler Zusammenarbeit potentiell richtigen Maßnahmen und Methoden zu finden. Somit kann vermieden werden, dass ein Einführungsprojekt in wildem Aktionismus ausartet und alle möglichen Maßnahmen ergriffen werden oder sich an anderen Unternehmen und deren Vorgehen orientiert wird. Dies führt nämlich häufig zu unbefriedigenden Ergebnissen oder lässt solche Projekte komplett scheitern. Damit wird nicht nur Geld unnötig versenkt, sondern auch Mitarbeiter und ihre Nerven über die Maßen strapaziert und gegebenenfalls das Thema digitale Zusammenarbeit komplett verbrannt.

Um die Komplexität zu reduzieren, ist es hilfreich, im ersten Moment die unzähligen, verschiedenen Maßnahmen in Maßnahmenbereiche zu clustern und diese in der Barrieren-Maßnahmen-Matrix gegen die Barrieren zu spiegeln (siehe Abbildung). Dabei zeigen die “+”-Zeichen die Effektivität des jeweiligen Maßnahmenbereichs auf die entsprechende Barriere an, wobei drei “+” Zeichen für einen hohen und eins für einen eher moderaten Effekt steht.

Zu den Maßnahmen im Bereich “Technologie” zählt natürlich vor allem die Einführung einer entsprechenden Collaboration-Lösung sowie der Zugang der Mitarbeiter zu dieser. Aber auch die Möglichkeit der mobilen Nutzung sowie Verfügbarkeit über verschiedene Devices fallen hierunter.

Der Maßnahmenbereich “Organisation” umfasst alles von organisatorischer Restrukturierung und Hierarchieabbau über angepasste Zielvereinbarungen bis hin zur Schaffung von neuen Stellen oder Abteilungen.

In den Bereich “Kultur” fallen beispielsweise Leadership- und Ambassadoren-Programme, Vernetzungs-Initiativen wie Working Out Loud (WOL) oder auch Reverse Mentoring zur Befähigung von Führungskräften.

Klassische Kommunikationskampagnen und Tool-Trainings aber auch Trainings in Medienkompetenz  zählen unter anderem zu den Maßnahmen im Bereich “Training und Kommunikation”.

“Vorgaben und Guidelines” ist ein sehr breit gefächerter Bereich, der neben einer Netiquette und klaren Ansagen von Führungskräften beispielsweise auch eine Tool-Nutzungs-Matrix als mögliche Maßnahmen enthält.

Welche konkrete Maßnahme dann aus dem Potpourri der vielen im jeweiligen Fall Sinn macht und bei einem Unternehmen zum Einsatz kommen sollte, ergibt sich dann aus einer gründlichen Analyse und individueller Beratung.